Bühnentanz – für viele Eltern, meistens für die Mütter, die perfekte Form für ihre Kinder, sich zu bewegen. Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit, Spagat und Sprünge, das sind Assoziationen, die sie mit den Gedanken an Ballett, Modern Dance, Jazz Dance etc. verbinden. Viel seltener denken diese Eltern über das nach, was dem Bühnentanz eigentlich zu seiner großen Bedeutung verhilft: die Kreativität.
Künstlerischer Bühnentanz, so der volle Titel, wird viel zu häufig nur von der technischen Seite her betrachtet. Und das nicht nur von Tänzern und Eltern. Auch viele Tanzpädagogen und Tanzstudios sehen sich gezwungen, Tanz vor allem von den technischen Aspekten her zu denken. Denn das, was über die Technik hinausgeht, die Kreativität, eignet sich nicht für große Gruppen, sondern braucht viel individuelles Coaching und persönliche Begleitung – und vor allem viel Zeit. Kreativität zu vermitteln mag immer gut für das Image eines Studios sein, in der Rentabilitätsrechnung schlägt sie sich oft nur sehr eingeschränkt wieder – über den Umweg Image.
Was es so schwer macht: Im Gegensatz zu Technik ist Kreativität viel weniger konkret, viel schwieriger zu fassen. „Das ist gut“, „das ist verbesserungswürdig“, solche Kommentare passen zum technischen Können einer jungen Tänzerin oder eines jungen Tänzers, nicht hingegen zu seinen kreativen Ideen. Denn die sind nicht messbar und sollten auch nicht bewertet werden. Der Grund ist einfach: Kreativität ist etwas Persönliches, es ist etwas, das von der Person selbst geprägt ist und von ihr mitgestaltet wurde. Kreativität kehrt in gewisser Weise ihr Inneres nach Außen und zeigt persönliche Gefühle, Wünsche und Empfindungen beim Umgang mit einem Thema.
Das macht auch verständlich, warum Kreativität nicht darin besteht, einmal gelernte Tanzfolgen frei zu variieren. Schritt- und Tanzfolgen sind Bausteine, die, um kreativ eingesetzt zu werden, transformiert werden müssen in das geprägte Umfeld und die Lebenswirklichkeit derjenigen, die sich kreativ mit Bühnentanz auseinandersetzen wollen. Ein Prozess, der sich nicht nur auf der Bühne oder dem Tanzboden vollzieht, sondern der eine lange Vorbereitungsphase braucht und sehr viel mit Papier und Stiften, Brainstorming und Nachdenken zu tun hat. Am Anfang steht die Aufgabe, für die spontane Gedanken gesammelt werden. Aus diesen kristallisieren sich Gedanken heraus, die für das Thema und die es umsetzende Person wirklich relevant sind. So entstehen sehr persönliche Konzepte, oft stark emotional aufgeladen.
Diese Konzepte werden dann umgesetzt in Bewegungen und mit Musik kombiniert. Es wird ausprobiert, was besser zur Idee passt: die sanfte Umsetzung, die kräftige, die lautstarke, die leise? Nach und nach kommen die zuerst entwickelten Gedanken und Bausteine und die dazugehörigen Bewegungen in eine Reihenfolge – sie werden zur tänzerischen Komposition.
Es gibt viele Ansätze, Kreativität in diesem Sinne zu entwickeln und zu begleiten. Welchen der Dozent bevorzugt, hängt von der Altersgruppe der Tänzerinnen und Tänzer ab, von seiner persönlichen Prägung und teils auch vom Thema. Wichtig ist dabei vor allem, dass er es seinen Schülerinnen und Schülern ermöglicht, dies alles in sich aufnehmen und verinnerlichen zu können.
Was bis hier schon reichlich kompliziert klingt, ist auf dem Weg hin zu einer fertigen Choreografie übrigens nur ein erster Schritt. Zur Komposition kommen, bis ein Bühnenstück fertig ist, noch Bühnenbild, Kleidung bzw. Kostüme und die Requisiten hinzu.
Kreativität in diesem Sinne ist eng verbunden mit dem Begriff Improvisation, der oft synonym verwandt wird. Improvisation im engeren Sinne ist das Arbeiten mit Gelerntem oder ganz ohne Hintergrundinfos, um Neues zu entwickeln: Es wird ausprobiert, verändert, verworfen, aussortiert. Nach dieser Explorationsphase wird ausgewählt, was bei all dem Experimentierten übrig bleibt und in den kreativen Prozess mit einfließt.
Im Jugendbereich gibt es in Deutschland viel in punkto Kreativität nachzuholen. Andere Länder sind weiter. Der Verein daCi Deutschland e.V. (Dance and the Child), der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kinder und Jugendliche aktiv in Kontakt mit zeitgenössischem Tanz zu bringen, bringt dieses Thema derzeit im Rahmen einer Kooperation mit der niederländischen Tanzhochschule Arnheim und einem Erasmus-Projekt, in dem Tanzhochschulen aus Dänemark, den Niederlanden und Schweden zusammenarbeiten, voran. Gegründet wird zum Beispiel eine daCi-Tanzkompanie, die als Labor für kreativen Tanz in Deutschland fungieren soll. Mit dieser Kompanie möchte der Verein den Stand des künstlerischen Bühnentanzes in Deutschland aufzeigen können. Ziel ist es außerdem, Deutschland mit der Kompanie im Rahmen von internationalen Veranstaltungen zu repräsentieren, wie sie etwa im internationalen daCi-Netzwerk immer wieder stattfinden.