Der kleine Henri ist ein fröhliches Baby. Er ist zufrieden, wenn er seine Umwelt betrachtet. Aber das drei Monate alte Kind legt seinen Kopf immer nur auf eine Seite. Versucht man es umzudrehen, beginnt es lauthals zu weinen und ist bemüht, schnell wieder die bevorzugte Lage zu erreichen. Und wenn sie ganz genau hinschaut, erkennt seine Mutter, dass sein Körper nie ganz gerade liegt.
Asymmetrische Entwicklung
Babys wie Henri sind keine Ausnahme. Neben einseitigen Schädellagen und schiefer Körperhaltung können sich körperliche Asymmetrien auch dadurch äußern, dass das Kind die Lage auf dem Bauch nicht akzeptiert, den Kopf häufig überstreckt oder in seiner motorischen Entwicklung allgemein verzögert ist: Es dreht sich nicht, es krabbelt oder sitzt nicht. Eine Physiotherapie kann helfen, den abweichenden bzw. verzögerten Entwicklungsstand zu regulieren oder aufzuholen.
Wann mit einer Therapie beginnen?
Grundsätzlich gilt: Je früher, desto besser. Wird das Baby schon (weit) vor Vollendung des ersten Lebensjahres therapiert und zeigt nur Abweichungen der Norm, sollte es sich vollständig an die Idealentwicklung anpassen, davon sind Physiotherapeuten überzeugt. Wird nicht frühzeitig etwas gegen die Störungen unternommen, werden diese möglicherweise von Kompensationen, Vermeidungen oder sogar Verhaltensauffälligkeiten überdeckt und als Folge nicht mehr leicht als problematisch erkannt. Gar nicht oder erst spät therapierte Kinder können dann mit vielschichtigen Schwierigkeiten zu kämpfen haben: Migräne, Gleichgewichtsprobleme, die das Schwimmen oder Fahrrad fahren erschweren, feinmotorische Schwächen sowie Konzentrationsprobleme. Experten raten, nicht darauf zu warten, dass sich das Problem von alleine löst.
Die Kirche im Dorf lassen
Dennoch: Nicht jedes Baby, das motorisch langsamer ist oder eine Schokoladenseite hat, muss zur Krankengymnastik, wie die Physiotherapie bis Anfang der 1990er Jahre noch genannt wurde. Jeder Mensch ist einzigartig und entwickelt sich in seinem eigenen Tempo, so dass Abweichungen völlig normal sein können. Fällt den Eltern bei ihrem Nachwuchs etwas auf, sollten sie dies dennoch im besten Fall direkt beim Kinderarzt ansprechen und im Zweifel auch eine zweite Meinung einholen. Gerade bei sogenannten Schreibabys kann es sich lohnen, sie genauer unter die Lupe zu nehmen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie infolge von funktionellen Störungen oder Blockaden weinen, die sie zum Beispiel daran hindern, eine für sie angenehme Lage zum Schlafen oder Trinken zu finden, gar Schmerzen empfinden lassen. Andererseits sollte man auch übermäßig pflegeleichte, sehr passive Babys gut beobachten.
Individuelle Physiotherapie
Der Kinderarzt überweist Kind (und Eltern) bei Bedarf zu einem Physiotherapeuten, so bezahlt auch die Krankenkasse die Behandlung. Bei diagnostizierten Blockaden kann vorab ein Besuch bei einem Chiropraktiker oder Osteopathen sinnvoll sein, um diese effektiv zu lösen. Der Physiotherapeut beginnt seine individuelle Arbeit mit dem Säugling, Baby, (Klein)Kind oder auch dem Jugendlichen dann nach einer eingehenden Diagnostik. Gerade bei Jüngeren bindet man die Eltern stets ein, sie sind bei der Behandlung dabei.
Bobath-Therapie
Am bekanntesten ist die ganzheitliche Therapie nach Bobath. Ziel ist es, mit systematischen Grifftechniken, speziellen Spielangeboten, wie dem großen Therapieball, sowie akustischen, optischen und sensorischen Reizen Babys und Kindern zu optimaler Körperhaltung und Motorik zu verhelfen, damit sie sich gemäß ihrer genetisch vorgegebenen Fähigkeiten optimal entwickeln. Die von dem Neurologen Dr. Karel Bobath und seiner Frau Berta (Physiotherapeutin) entwickelte Therapie behandelt neben Asymmetrien und Entwicklungsverzögerungen auch Wahrnehmungsstörungen, Behinderungen und neurologische Auffälligkeiten wie Spastiken. Bei älteren Kindern kommen Gleichgewichtsprobleme oder Fehlbelastungen wie eine Skoliose dazu.
Vojta-Therapie
Ganz ähnliche Symptome stehen bei der Therapie nach Vojta im Fokus. Hierbei werden in der Reflexlokomotion oder Reflexfortbewegung aus vorgegebenen Ausgangspositionen durch gezielten Druck auf einzelne Körperstellen Reize gesetzt, die wiederum Bewegungsmuster auslösen. Die von dem Kinderneurologen Dr. Vaclav Vojta entwickelte Therapie geht davon aus, dass eine ideale Bewegungsentwicklung bereits angeboren ist und es diese nur „hervorzuholen“ gilt. Für den Erfolg sollten einzelne Übungen drei- bis viermal täglich über Wochen, gar Monate zu Hause durchgeführt werden. Nicht immer ist das für die Eltern einfach, da Babys auf die für sie ungewohnten und anstrengenden Übungen in der Regel mit starkem Schreien reagieren. Dies ist ein Grund, warum Vojta heute zunehmend kontrovers diskutiert wird.
Sensorische Integrationstherapie
Motorische Entwicklungsrückstände können auch Folge von Wahrnehmungsverzögerungen sein. So kann zusätzlich (oder ausschließlich) eine sensorische Integrationstherapie ratsam sein. Ziel dabei ist es, das Zusammenspiel aller Sinne zu schulen, es richtig einzusortieren, abzuspeichern und zu automatisieren. Neben dem Riechen, Sehen, Hören, Schmecken und Fühlen wird auch das Gleichgewicht, die Bewegung sowie die Körperhaltung mit einbezogen, um die eigene Wahrnehmung und Handlungsmöglichkeiten zu verbessern und auszubauen.
Psychomotorik, Feldenkrais & Co.
Physiotherapeutische Praxen bieten darüber hinaus ein relativ breit gefächertes Angebot an weiteren Behandlungsmethoden für die Kleinen an. Ein weiterer relativ populärer Bereich ist die Psychomotorik, die motorische, sensorische und soziale Fähigkeiten als Einheit fördert. Die Arbeit findet in kleinen Gruppen statt und richtet sich vor allem an unruhige, ängstliche oder zappelige Kinder. Nicht selten ist die Psychomotorik auch in den Kita- oder Schulalltag integriert.
Die Feldenkrais Methode hat zum Ziel, den eigenen Körper zu verstehen und zu spüren. Sie kann daher auch für Kinder geeignet sein, die in der motorischen Entwicklung etwas hinterherhinken. Der Feldenkrais-Therapeut gibt Impulse, sich „bewusst“ zu bewegen.
Physiologische Bewegungsabläufe im Gesicht werden häufig durch die Mundtherapie nach Rodolfo Castillo Morales verbessert. Gearbeitet wird mit unterschiedlichen Stimulationstechniken, wie Druck, Vibration oder Widerständen, um Saug- und Schluckschwierigkeiten, Trinkproblemen und Störungen der Mundmotorik entgegenzuwirken. Von oben nach unten: (?) Die Fußtherapie nach Barbara Zukunft-Huber behandelt Fußfehlformen und besteht aus speziellen Dehngriffen. Anschließend wickelt man eine Binde um den Fuß, um das Ergebnis zu fixieren, die die Bewegungsentwicklung des Kindes jedoch nicht beeinträchtigt.
Richtige Diagnose für beste Therapie
Das Angebot an Baby- und Kindertherapien ist heute sehr groß und vielfältig , unsere Auswahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Eine korrekte, am besten unabhängige Diagnose ist vor jeder Therapie unabdingbar, um den Kleinen, die sich häufig selbst noch nicht äußern können, die individuell auf sie angepasste, bestmögliche Behandlung zu garantieren.
Text: Katrin Hainke