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Als Herbert G. einmal irrte

Bildnachweis: Jörn Stollmann

„Meine Frau und ich haben beschlossen, dass wir keine Kinder haben wollen. Aus diesem Grund hätten wir zwei abzugeben. Der Dicke hat leider Asthma. Zuschriften an das Wochenblatt.” Böse, böse, aber gut, diese kleine Scherz-Anzeige in einer Zeitung. Es war doch ein Scherz, oder? Als wir noch keine Kinder hatten, fand ich das Lied „Kinder an die Macht“ von Herbert Grönemeyer richtig klasse. Boah, jau, habe ich gedacht: Der Herbert hat das durchschaut – sind wir Erwachsenen doch nicht selten genug riesengroße Schweine. Man sagt ja nicht umsonst: Homo homini lupus. Der Mensch ist dem Mensch ein Wolf. Neid und Missgunst regieren unser Miteinander. Kinder, die sind daganz anders, habe ich früher gedacht. Das sind kleine, unschuldige Engel, die keiner Fliege was zuleide tun können. Oder wie Herbert singt: „Es gibt kein gut, es gibt kein böse. Es gibt kein schwarz, es gibt kein weiß. Statt zu unterdrücken, gibt‘s Erdbeereis auf Lebenszeit.“ Das hört sich doch toll an. Und genau so sollte es ja auch sein. So macht das Leben Spaß. Und eben das wird sich auch Herbert Grönemeyer beim Schreiben des Textes im Jahr 1985 gedacht haben – als er – Obacht! – ebenfalls noch keine Kinder hatte. Aber der Herbert ohne Blagen war ja auch nicht komplett naiv. Er wusste schon, was das im Grunde für Wesen sind. Immerhin dichtete er: „Sie sind die wahren Anarchisten, lieben das Chaos, kennen keine Rechte, keine Pflichten.“ Und das kann man dann wiederum auch als Eltern präzise so unterschreiben. Anarchie, also das herrschaftsfreie Leben, wird von den Kindern stets dann ausgerufen, wenn die blöde Mama oder der noch blödere Papa das Thema Zu-Bett-Gehen ansprechen. Will man einmal im Leben den Begriff „Chaos“ in seiner kompletten Bandbreite bildhaft verstehen, muss man ein Kind einfach mal machen lassen. Schon nach drei Tagen sieht das eigene Zimmer der Kleinen aus, als wäre die berühmte Bombe eingeschlagen. Das Frappierende: Man hat doch tatsächlich das Gefühl, Kinder liebten dieses Chaos heiß und innig. Die Tage lief bei Facebook ein Video rauf und runter, in dem Männer auf das neue Leben als Väter vorbereitet werden sollten. Die wichtigste Disziplin: Das unfallfreie Laufen durch ein nicht aufgeräumtes Kinderzimmer. Hier simuliert anhand eines Laufbandes aus dem Fitnessstudio und einem Sack voller Legosteine. Zum Schreien komisch – die schmerzverzerrten Gesichter der baldigen Väter.
Die Passage mit den eigenen Rechten, die Kinder angeblich nicht kennen, würde Herbert – da bin ich mir sicher – heute im Informationszeitalter so nicht mehr aufschreiben. Neulich schmetterte Jamie die Bitte, den Müll rauszubringen, mit den Worten ab: „Ich kenne meine Rechte. Da haben sie die Tage mal im Fernsehen bei ‚Logo’ von berichtet.“ Während ich noch sprachlos meinen Sohn anschaute, rollte Sophia nur mit den Augen und drückte dann mir den Sack Müll in die Hand. Ich habe mich spontan dazu entschlossen, mich vollkommen willenlos in mein Schicksal zu ergeben. Schließlich hatte ich ein paar Tage zuvor schon einmal meine eigenen Rechte als Ehemann erfolglos Sophia gegenüber ins Spiel gebracht. Ihr Blick wird mich noch lange Zeit in meinen Albträumen des Nachts verfolgen – aber das ist ein anderes Thema.
Dass Kinder keine Pflichten kennen, ist im Kern eine feine Sache – schließlich klagen wir Erwachsenen nicht umsonst tagtäglich über all den Mist, den es zu erledigen gilt. Doch das stimmt auch nur bedingt, wenn man denn die Kinder selbst oder noch besser Astrid Lindgren fragen würde. Die schwedische Autorin hat einmal in einem Aufsatz über das „schwere Leben“ der Kleinen geschrieben: „Was bedeutet es denn, Kind zu sein? Es bedeutet, dass man ins Bett gehen, aufstehen, sich anziehen, essen, Zähne und Nase putzen muss, wenn es den Großen passt, nicht, wenn man selbst es möchte.“ Pflichtenlos und selbstbestimmt sind Kinder also beileibe nicht. Willkommen im Leben der Erwachsenen, möchte man den Kleinen da zurufen.
Wo Grönemeyer allerdings mal so richtig daneben gelegen hat bei seinem berühmten Song, ist gleich seine wunderbar-poetische Eröffnungspassage: „Die Armeen aus Gummibärchen, die Panzer aus Marzipan. Kriege werden aufgegessen, kindlich genial.“ Mhm, die Kleinen sind also die klassischen Vorzeigepazifisten, die ihre Auseinandersetzungen genüsslich mit einem üppigen Gabentisch voller Süßigkeiten lösen und ansonsten Meisterschaften im Wattebäuschen-Werfen veranstalten? Ich will es mal völlig emotionslos sagen: Wenn Jamie und Charlie ihre Konflikte stets komplett ohne elterliche Kontrolle lösen dürften, dann wäre das in etwa so, als würde man Donald Trump mal einen Abend lang alleine mit dem Atom-Köfferchen lassen. Was konkret die Folge wäre? Ich will es mal mit einem Beispiel versuchen. In einer legendären Story über den als „Weißen Brasilianer“ bekannten Ex-Fußballprofi und Dschungelcamp-Bewohner Ansgar heißt es im Polizeibericht wörtlich: „Brinkmann und seine Kollegen legten eine Straße auf 80 Metern Länge in Schutt und Asche.“
Jamie und Charlie bleiben natürlich dennoch bei uns. Wir haben sogar kurz mal überlegt, ob wir nicht die beiden Kinder aus der Anzeige auch noch bei uns aufnehmen sollen. Auch wenn der Dicke Asthma hat. Denn mit einer Stelle in seinem Lied lag Herbert ja dann doch richtig. „Dem Trübsinn ein Ende“, singt Grönemeyer. Und da kann man ihm als Eltern einfach nur Recht geben!

Ben Redelings

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