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Weihnachtsmann im Kampf…

Bildnachweis: Jörn Stollmann

Weihnachten wieder mit Kinderaugen zu sehen, ist eine der wunderbarsten Sachen, die es gibt. Wie die Kleinen schon Wochen vor dem Fest von Tag zu Tag immer aufgeregter werden und beinahe stündlich fragen, wann denn der heilige Abend endlich sei, ist zugleich nervig wie großartig. Und am allerschönsten ist diese Zeit, wenn die Kinder noch ohne Zweifel sind, sie innig und träumerisch an die Existenz des Weihnachtsmanns und des Christkinds glauben. Denn jeder Erwachsene weiß: Wenn der erste Zauber erst einmal verflogen ist, beginnt die Realität. Für meinen Kumpel Wolle war die Landung damals hart – aber dennoch faszinierend. Bis zu seiner allerersten Freundin ging er felsenfest davon aus, dass Frauen niemals groß auf Toilette gehen würden. Und wenn doch – was er allerdings nur schwerlich glauben wollte – war sich mein Freund sicher, kämen dabei »allenfalls Rosenblätter« hinten raus. Wolle wollte einfach nicht akzeptieren, dass »solch zauberhafte Geschöpfe« auch nur im Entferntesten solch unappetitliche Dinge tun würden wie er selbst.Am Morgen nach der Nacht, in der Claudia das erste Mal bei ihm schlief, brach für Wolle dann auch ein Stück seiner jungfräulichen Welt zusammen. Das üppige Frühstück und die schöne Tasse heißen Kaffees verlangten nach Platz im Magen – bei beiden. Claudia ging zuerst, danach folgte Wolle. Und in dem Augenblick, in dem er das Klo betrat, wurde ihm schlagartig alles klar. Wolle schaute Frauen nach diesem duftenden Schockerlebnis ganz anders an. Etwas war ihn ihm zerbrochen. Doch seiner Liebe zu diesen »zauberhaften Geschöpfen« tat dieser eine Moment der Erkenntnis keinen Abbruch. Für Wolle waren Frauen immer noch das Größte – auch wenn er nun wusste, dass sie ganz normale Lebewesen waren.Kurz nach den Sommerferien hatte unser siebenjähriger Sohn Jamie meiner Frau erzählt, er wüsste nun Bescheid. Die Kinder aus den höheren Klassen hätten sie aufgeklärt. Natürlich habe er schon länger gezweifelt, aber da nun ja alles klar sei, könne man mit offenen Karten spielen: Den Weihnachtsmann gebe es nicht und man solle ihm da bitte nicht weiter einen Bären aufbinden!Sophia musste bei Jamies Worten schlucken, doch sie reagierte beherzt und mit kühlem Kopf – denn neben unserem Erstgeborenen saß unser vierjähriger Nachzügler im Auto und spitzte die Ohren. Hatte da nicht eben einer vom Weihnachtsmann gesprochen? Charlie zerbröselte sichtlich aufgeregt sein Schokobrötchen feinsäuberlich in die Ritzen der Rückbank und schaute seinen Bruder an. Sophia rief von vorne: »Darüber reden wir später in Ruhe, Jamie. Aber guckt mal da vorne, was ist das denn für ein riesiges Baufahrzeug?« Das Ablenkungsmanöver funktionierte.Zu Hause erzählte mir Sophia fast beiläufig von dem Vorfall. Es waren schon ein paar Tage vergangen und sie hatte die Hoffnung, dass Jamie das Gespräch mit den älteren Kindern mittlerweile vergessen habe und wieder fest und treu an den Weihnachtsmann glauben würde. Doch leider weit gefehlt!Als Charlie eine knappe Woche später nach dem Mittagessen den bunten Prospekt eines großen Versandhandels für Kinderbedarf auf den Tisch legte und auf die Abbildung eines Laubbläsers deutete, meinte er: »Den wünsche ich mir vom Christkind!«Das war das Stichwort für Jamie. »Jaja, is klar. Christkind!«, sagte Jamie und zeigte uns allen einen Vogel. Bevor er weitersprechen konnte, hielt sich Sophia einen Finger vor die Lippen und nickte Jamie verschwörerisch zu. Ich bin nicht sicher, wie er das Zeichen gedeutet hat, denn im nächsten Moment sprang ich auf und rief etwas übertrieben laut in die Runde: »Wer will denn noch ein Eis zum Nachtisch?« Und das, obwohl ich wusste, dass überhaupt kein Eis mehr in der Tiefkühltruhe war. Das letzte hatte ich nämlich am Abend zuvor gegessen. Da war das Geschrei natürlich groß, aber wenigstens dachte niemand mehr an das Christkind.Am nächsten Tag erzählte ich einer Bekannten von Jamies ‚Aufklärung’. Sie war schockiert. Ihr Sohn ist im selben Alter und für sie wäre es der reine Horror, meinte sie atemlos, wenn er nicht mehr an den Weihnachtsmann und das Christkind glauben würde. Alleine schon deshalb, weil der feste Glaube an die Existenz der heiligen Geschenkebringer als Erziehungsmaßnahme funktioniere wie nichts anderes. In den Wochen vor dem Fest reiche ein Satz und schon wäre Ruhe im Karton: »Nicklas, denk dran, das Christkind sieht alles – deine Geschenke werde immer kleiner!«Unsere Bekannte untersagte ihrem Sohn jeden Kontakt zu Jamie, bis Weihnachten vorbei sei. Das wolle sie sich unter gar keinen Umständen kaputt machen lassen, meinte sie und erzählte, dass sie erst neulich Nicklas darin bestärkt habe, notfalls auch mit Gewalt gegen Ungläubige vorzugehen. In der Schule hatte jemand ihren Sohn ebenfalls von der Nicht-Existenz des Weihnachtsmanns überzeugen wollen, doch Nicklas war anders als Jamie nicht schwach geworden. Mit dem Trotze der Überzeugung hatte er dem älteren Jungen eine gezimmert, als dieser nicht aufhören wollte, ihn in seinem Glauben zu erschüttern. Auf eine gewisse Weise, muss ich gestehen, beneiden Sophia und ich unsere Bekannte und ihren Sohn. Denn toll finden wir diese spezielle ‚Aufklärung’ nicht.Doch wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass auch Jamie noch nicht ganz verloren ist. Seit einigen Wochen schon hat er seine Zweifel uns gegenüber nicht mehr geäußert. Man spürt zwar, dass er mit sich hadert, aber neulich hielt auch er den bunten Prospekt in den Händen und zeigte auf eine Seite, auf der er jeden einzelnen Artikel angekreuzt hatte. »Das alles kostet zusammen nur 15 Euro. Das würde ich gerne haben!«Zugegeben: Sauber zusammen gerechnet hatte er alles, aber leider mussten die blöden Eltern ihm sagen, dass es sich dabei nur um die Artikelbezeichnung von 1-5 handeln würde. Wenn man die Euro-Beträge addiere, sagten wir ihm, würde da ein schönes Sümmchen zusammenkommen. Jamie musterte uns mit einem bösen Blick und meinte trotzig: »Okay. Dann wünsche ich mir das eben vom Christkind!«Sophia und ich haben beide eifrig mit dem Kopf genickt und dasselbe gedacht: Vielleicht ist der erste Zauber ja doch noch nicht verflogen. Es wäre zu schön, wenn wir die harte Realität noch ein Jahr umgehen könnten. Wie wohl ich mir sicher bin, dass Wolle auch heute noch den Weihnachtsmann mit der selben Faszination ansieht, mit der er Frauen begeistert hinterherblickt!
Ben Redelings

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