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Fast wunschlos glücklich

The Hämpels: Grafik der Familie The Hämpels
Bildnachweis: Jörn Stollmann

Ich sitze hoch oben auf einem Meer aus Armen und schaue in lächelnde Gesichter. Ich bin acht Jahre und mein Fußballteam hat gerade gewonnen. Vier Tore habe ich geschossen. Nun tragen mich meine Mannschaftskameraden auf ihren Schultern, Armen und Händen – einmal quer über den Platz. Ich bin glücklich. Wunschlos glücklich.
Es ist Sommer, wir haben Ferien und alle Jungs und Mädchen und Väter sind draußen im Innenhof. Der Papa von unseren Nachbarskindern hat eine riesige Eisenbahn mit großen Waggons und Lokomotiven. Die Schienen sind dreimal so breit wie meine Hände. Wir hocken auf dem Rasen und fügen Schiene für Schiene zusammen. Zwischendurch machen wir immer mal wieder eine Pause, essen Kekse, lachen und trinken aus einer Sprudelflasche. Das durfte ich vorher nie. Doch die älteren Kinder machen es vor und wir jüngeren machen es nach. Die Flasche kreist herum. Einmal mit der Handfläche über den runden Hals drüber gewischt und dann einen tiefen Schluck nehmen. Orangensprudel. Lecker. Den haben wir zu Hause nicht. Dann endlich ist die Bahn aufgebaut. Den Berg hinunter, einmal um die Hecke und dann am Sandkasten vorbei den Hügel wieder hinauf zum Bahnhof. Mittlerweile dämmert es schon leicht und die Lampen an den Lokomotiven leuchten uns den Weg. Wir rennen kreischend hinter der Bahn her, springen über die Schienen und sind glücklich. Einfach nur glücklich. Mein Vater hat die Vorhänge geschlossen. Wir dürfen Fernsehen gucken. Mitten am Nachmittag. Meine Freunde haben zu Hause angerufen, sie dürfen heute bei uns übernachten. Denn draußen vor den Fenstern hat es angefangen zu schneien. Papa schaut immer wieder kurz durch die Vorhänge, lächelt uns an und nickt. Es schneit immer noch. Dann irgendwann kommt Papa wieder ins Wohnzimmer. Er hat eine Winterjacke an und Handschuhe. Einen zieht er wieder aus, drückt auf die Fernbedienung und zeigt zur Tür. Er lächelt. Und wir wissen Bescheid. Ohne ein einziges Wort springen wir auf, schnappen uns unsere Jacken und Schuhe und rennen raus. Alles ist weiß. Und es schneit immer noch. Während wir eine Schneeballschlacht machen, schippt Vater Schnee. Ein Nachbar hilft ihm dabei. Immer mehr Kinder kommen raus. Wir rollen Kugeln und versuchen, ein Iglu zu bauen. Meine Freunde dürfen ja bei mir schlafen. Vielleicht lassen Mama und Papa uns draußen im Iglu übernachten. Ich schaue auf die erste Wand aus Schnee und lächle. Ich bin glücklich. Wir sitzen draußen auf der Mauer vor unserem Haus. Auf einer Decke auf dem Rasen haben wir allerhand Spielzeug und Mickey-MausHefte ausgebreitet. Wir veranstalten einen Flohmarkt. Das haben die Nachbarskinder die Straße runter vor ein paar Tagen auch schon gemacht. Und dann sind sie mit einer riesigen gemischten Tüte von der Bude an der Ecke gekommen. So eine wollen wir jetzt auch. Mama hat uns noch eine Zitronen-Limonade gemacht. Die hatten die Nachbarskinder nicht. Und jetzt steht ein Mann mit seinem Hund bei uns am Stand und möchte eine haben. 30 Pfennig kostet ein Glas. Das hat uns Mama auch gegeben. Und einen kleinen Eimer, wo wir das Glas drin spülen können. Der Mann freut sich sehr über die kühle Limo. Er gibt uns zwanzig Pfennig Trinkgeld. Dann kommt eine Oma und kauft drei Mickey-Maus-Hefte für ihren Enkel. Wir wissen nicht, was ein Enkel ist, aber die 30 Pfennig für die Hefte nehmen wir gerne. Nach einer Zeit zählen wir unser Geld und entscheiden, dass es reicht. Kurz darauf laufen wir mit unseren riesigen gemischten Tüten in den Innenhof zu den anderen Nachbarskindern. Das Brausepulver-Ufo pappt in meinem Mund und ich bin glücklich. „Mama und Papa, ihr wisst ja, dass ich eine Wii ganz toll finde. Aber ich habe nachgedacht. Eigentlich bin ich wunschlos glücklich. Doch wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass es endlich vorbei ist. Und alles wieder wie früher!“ Das hat unser achtjähriger Charlie genau so vor ein paar Tagen gesagt. Wort für Wort. Und jedes weitere Wort wäre zu viel. Allen eine frohe Weihnacht und ein wunschlos glückliches Jahr 2021! Glück auf!
Ben Redelings

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