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Zettel für die Ewigkeit!

Bildnachweis: Jörn Stollmann

Wigald Boning hat vor ein paar Jahren ein 192-Seiten-starkes Buch mit lauter Einkaufszetteln veröffentlicht. „Butter, Brot und Läusespray“ hieß es. Klingt eigentlich nach einer ganz gewöhnlichen Liste einer Kindergarten-Familie! Dass es auch entschieden anders gehen kann, beweist dagegen eine Liste aus dem Hause Hämpel. Wigald Boning hätte wohl seine helle Freude an dem guten Stück gehabt. Denn die Aufstellung über Käse, Nudeln, Klopapier und Brot wurde von Charlie feinsäuberlich handschriftlich um die Punkte ‚Kaka’ und ‚Pipi’ ergänzt. Das muss ihn innerlich schon sehr gefreut haben. Denn nach außen hin zeigte er keine Regung – bis nach dem Einkauf. Da fragte er Sophia mit einem schelmischen Grinsen: „Na, Mama. Hast du denn auch alles im Supermarkt bekommen?“ Und dann konnte er nicht mehr an sich halten. Die Liste wanderte – wie so viele feine Erinnerungen – in einen speziellen Ordner. Sophia und ich können den Tag, an dem einer der beiden Jungs seine erste große Liebe mit nach Hause bringt, kaum erwarten. Judgement Day – oder einfach nur: Tag der Abrechnung. Das wird ein Spaß! Seitdem die Jungs schreiben können, werden Kummer und Ärger nicht mehr nur lautstark verbal geäußert. Einerseits ist das natürlich Entspannung für die geplagten Ohren und andererseits gibt es so haufenweise (wortwörtlich!) neuen Stoff für die Erinnerungssammlung. Bei einer Familienfeier, bei der die komplette Runde unten um den Tisch versammelt Platz genommen hatte, hagelte es plötzlich von oben über die Wendeltreppe kleine weiße Zettel. Der unsichtbare Postbote war Charlie. Minuten vorher hatte er wutschnaubend und mit stampfenden Schritten seinen Stuhl verlassen. Leider hatte niemand am Tisch richtig mitbekommen, was genau vorgefallen war. Und erste Nachfragen von unten wurden eine Etage darüber schweigend ignoriert. Die Kommunikation wurde schließlich über die geworfenen Zettel einseitig wieder aufgenommen: „Ich bleibe oben. Ich hasse euch alle!“ In diesem Stil und Wortlaut ging es eine ganze Weile weiter. Direkte Annäherungsversuche wurden durch die Flucht ins eigene Zimmer (plus obligatorischem Zuknallen der Tür) erfolgreich seitens Charlie abgewehrt. Schließlich kam irgendwann der Punkt, an dem alles gesagt schien. Die Pausen zwischen den Wurfsendungen wurden auch immer länger – bis die Zeit für den Nachtisch gekommen war. Und nun wurde der Spieß umgedreht. Auf einem Blatt baten alle Familienmitglieder Charlie inständig, doch wenigstens für den Nachtisch wieder in den gemeinsamen Kreis zurückzukehren. Der Zettel wurde anschließend durch die geschlossene Zimmertür geschoben. Minutenlang tat sich nichts. Stille. Dann landete ein weiteres Stück Papier neben dem Esstisch. Voller Neugierde wurde es entpackt und anschließend lächelnd von Hand zu Hand weitergegeben. Als alle den Zettel gelesen hatten, rief die komplette Familie: „Schokoladeneis!“ Charlie hatte tatsächlich eingelenkt und gefragt: „Was gibt es denn?“ Sekunden später stampfte er mit mürrischem Gesicht die Treppe hinab, schaute niemanden an, setzte sich und schaufelte zuerst angewidert, dann genüsslich dreinblickend seine Portion in sich hinein. Kurz darauf hatte Charlie bereits wieder vergessen, dass er ja eigentlich immer noch sauer war. Später beim Zubettgehen wusste er auf Nachfrage noch nicht einmal mehr, was ihn denn so auf die Palme gebracht hatte. Ich bat ihn, es das nächste Mal doch bitte aufzuschreiben und schenkte ihm ein kleines Notizbuch. Als ich es die Tage beim Aufräumen und Ausmisten in seinem Zimmer fand, stand dort nur ein einziger Eintrag. Offenbar auch schon etwas älteren Datums: „Mein Bruder heißt Jamie und ist scheiße.“ Manche Dinge sollte man sich wirklich notieren, sonst vergisst man sie noch. Und dass der eigene Bruder einen an der Klatsche hat, ist nun wirklich zu wichtig, um es zu vergessen. Einen kleinen Zettel hat Sophia übrigens auch gegen mich in der Hand – und den holt sie immer dann hervor, wenn wieder einmal im Fernsehen eine Frau unter Tränen von ihrem romantischen Hochzeitsantrag am Fuße des Eifelturms unter den Klängen eines hundertköpfigen Streichorchesters und dem spektakulären Überbringen des VerlobungsBrillanten per Hubschrauber direkt aus der Hand des jungen Kai Pflaume erzählt hat. Dann greift sie in eine Kiste und hält mir anschließend mit vorwurfsvollem Blick diesen einen bestimmten Zettel vor die Nase. Und auf diesem steht nur: „Willst du mich heiraten? Ja / Nein / Oder vielleicht?“. Ich weiß dann stets, was ich zu tun habe. Ich stehe umgehend auf, gehe in die Küche und greife ins Tiefkühlfach. Anschließend komme ich ins Wohnzimmer zurück, setze mein bezauberndstes Lächeln auf und halte freudestrahlend eine Schale in die Luft: „Schokoladeneis?“
Ben Redelings

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