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Zum Verrücktwerden

Bildnachweis: Jörn Stollmann

Man sagt ja schon einmal gerne: „Boah, gleich werde ich aber verrückt!“ Wird man dann meist doch nicht, weil man eh bereits von Natur aus ziemlich crazy ist, aber ich gestehe: Ich sage den Satz besonders häufig und gerne im Zusammenhang mit unseren lieben Kleinen. Und zwar in den vielfältigsten Situationen.

Nehmen wir doch nur einmal die täglichen Hausaufgaben. Man wird gerufen, weil da irgendwer irgendwas nicht recht verstanden haben will. Kann ja schon mal passieren, kein Drama. Ich frage mich zwar immer, warum man Sachen für zu Hause aufbekommt, die man „noch nie“ (O-Ton) gehört, geschweige denn gelernt hat, aber gut. Man eilt also ins Kinderzimmer und steht – noch – frohen Mutes für jede Schandtat bereit. Das Mathe-Problemchen werden wir doch wohl gemeinsam schon lösen können. Dann schaut man sich die Aufgabe an, gibt freundlich Hinweise, rechnet – nachdem man einen fragenden Gesichtsausdruck geerntet hat – die Lösung schließlich selbst aus und muss sich zum Schluss – nach getaner Arbeit – statt Dankbarkeitsäußerungen so etwas anhören wie: „Ja, das hatte ich schon vor fünf Minuten raus, aber du hast mich ja nicht ausreden lassen!“ Das sind dann diese Momente, in denen ich ganz intensiv an Gandhi denke und versuche, tief drinnen meine Atmung zu spüren. Ein anderes, täglich wiederkehrendes Szenario ist der Augenblick, wenn die technischen Geräte abgegeben bzw. stillgelegt werden sollen. An anderer Stelle hatte ich bereits einmal geschrieben, wie fasziniert ich davon bin, wie überzeugend die Kleinen nicht hören können – wenn sie nicht wollen. Deshalb war ich anfangs auch schon erfreut darüber, wenn doch mal so etwas wie ein „ja, okay“ als Antwort kam. Mittlerweile weiß ich, dass die Kleinen für dieses patzig dahingeschleuderte „ja, okay“ keine einzige Synapse aktivieren müssen. Das ist viel mehr wie bei einem Roboter, bei dem ein bestimmter Knopf gedrückt wird und er immer wieder automatisch dieselbe Handlung ausführt. An und für sich eine wissenschaftlich beeindruckende Sache, aber leider hat genau diese komplette Interessenlosigkeit das Potential, einen Tsunami auszulösen. Erschreckend! Nach dem dritten, vierten „ja, okay“ kommt mir dann immer automatisch der bekannte Satz vom Anfang der Geschichte in den Kopf. Da kann man gar nichts gegen machen – nur versuchen zu verhindern, dass es tatsächlich soweit kommt. Doch der Tag kam. Es war im Sommer, als wir in den Niederlanden nach einem herrlichen Urlaubstag am Strand reichlich Kohldampf schoben. Damit im Supermarkt alles fix gehen konnte, ließen wir Hund und Kinder im Auto zurück – natürlich mit der klaren wie einfachen Vorgabe: macht keinen Scheiß, wir sind gleich wieder da. Das stimmte auch. Doch die Ansage war bei den Kleinen offensichtlich auf keinen fruchtbaren Boden gefallen. Denn als wir nassgeschwitzt und mit einem vollen Einkaufswagen wiederkamen, empfing uns schon lautstarkes Geschrei. Es war zum Verrücktwerden! Vor allem deshalb, weil in diesem ohrenbetäubenden Lärm nicht augenblicklich festzustellen war, was überhaupt vorgefallen war. Klar war nur: Der Hund saß nicht mehr auf seinem Platz und die Kindersitze hingen wild auf der Rückbank durcheinander. Man musste davon ausgehen, dass es sich um eine echte Notlage handelt. So stellte ich wie von Sinnen die Verpackungen mit dem leckeren, frisch zubereiteten Salat aufs Dach und widmete mich dem Chaos im Inneren des Autos. Der Hund war wie vom Erdboden verschluckt! Doch einige Sekunden später erfolgte die Erlösung: Er saß sichtlich zufrieden auf meinem Platz hinter dem Steuerrad und kaute auf einer Stange aus Rinderextrakten herum. Richtig Stimmung wollte aber auf der Rückfahrt ins Hotel dennoch nicht mehr aufkommen. Die Nerven lagen blank. Das konnte wohl nur noch ein ordentliches Abendessen wieder in Ordnung bringen. Doch als alles ausgepackt war – fehlte was? Genau. Der Salat. Entsetzen. Das durfte doch nicht wahr sein! War ich tatsächlich so außer Rand und Band geraten, dass ich die Verpackungen auf dem Autodach hatte stehen lassen? Uff. Das muss ein Bild für die Götter, äh, umstehenden Supermarktkäufer gewesen sein, als wir losfuhren. Ich schaute die Kinder böse an und musste mich setzen – direkt auf den lose herumliegenden Kassenbon. Ein Blick später musste ich schmunzeln. Nun war es tatsächlich passiert: Ich war komplett verrückt geworden – und das ganz ohne Zutun der Kleinen. Denn den Salat hatten wir nie gekauft. Er muss wohl im Laden in einem anderen Wagen gelandet sein.
Ben Redelings

Der Autor: Ben Redelings hat in den letzten Jahren zahlreiche Bücher im Bereich Fußball veröffentlicht. Darunter den Bestseller „55 Jahre Bundesliga. Das Jubiläumsalbum“. Im Jahr 2015 hat Ben die Kinderbuch-Figur „Onken Olsen“ zum Leben erweckt. Viele Tausend Kinder lesen bereits mit großer Begeisterung die Abenteuer des lustigen Kapitäns. Mit seiner Frau und den beiden Söhnen lebt und arbeitet Ben Redelings in Bochum. Infos: scudetto.de

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