Tipps für den Schul- und Kindergartenstart – Probleme und Ängste der Kinder ernst nehmen
Der erste Tag im Kindergarten, die Einschulung und der Wechsel auf eine weiterführende Schule – für Kinder sind das ganz besondere und sehr aufregende Tage. Mitunter legt sich die Aufregung nicht direkt und es bleibt eine gewisse Verunsicherung. Wir haben das Thema mit der Heilpraktikerin für Psychotherapie Katrin Zirkel beleuchtet. Sie erklärt, welche Herausforderungen anstehen, gibt Tipps, wie man den Start erleichtern kann und was bei Problemen zu tun ist, damit sie nicht ein ganzes Leben mit sich getragen werden.
Viele Kinder freuen sich zumeist auf ihren ersten Tag im Kindergarten oder in der Schule. Was ist das Besondere an diesem Tag und wie erleben Kinder ihn?
Grundsätzlich hat ja alles etwas mit Neustart zu tun. Und das kennen wir von uns selber: Wenn etwas Neues im Raum steht, ist das immer auch etwas aufregend und man weiß noch nicht so genau, was da auf einen zukommt. Insbesondere Kindergartenkinder erleben viele Dinge zum ersten Mal in ihrem Leben. Wir als Erwachsene haben bereits Erfahrung oder etwas Ähnliches erlebt, aber für die Kinder ist es die erste große Veränderung. Im besten Fall gehen sie freudig mit einer großen Offenheit und Neugier in diesen Tag, und erleben dann, was da kommt. Wenn es so positiv läuft, kann das eine ganz tolle Kraftressource fürs Leben werden, auf die man auch immer wieder zurückgreifen kann.
Aber es gibt auch Kinder, die sehr aufgeregt und eher ängstlich sind.
Manchmal kann es natürlich auch passieren, dass es etwas schwierig wird. Das ist vor allem dann der Fall, wenn gerade im engsten Umfeld viel los ist, die Freunde nicht mitgehen oder man noch niemanden kennt. Aber auch, wenn die Eltern oder die Erzieherinnen und Erzieher selbst im Stress sind. Das spiegelt sich sofort auf die Kinder wider. Dann kann diese Offenheit und Neugier, um unbeschwert etwas Neues zu erleben, auch ganz schnell mal umschwenken. Es tauchen Fragen auf wie „Was passiert hier?“ oder „Bin ich hier sicher?“ Zudem tritt eine Verunsicherung auf, weil das gewohnte Umfeld nicht da ist. Gleichzeitig werden die Kinder mit dem ersten Bewertungssystem in ihrem Leben konfrontiert – das fängt ja leider schon im Kindergarten an. Die Kinder erfahren: Hier ist etwas anders: Ich werde bewertet und beurteilt. Das sind Momente, in denen es bereits grenzwertig werden könnte. Ich betone: könnte – nicht muss!
Wie kann man Kinder auf diese Situation vorbereiten?
Das sind so viele Erlebnisse und neue Eindrücke, die auf die Kinder einstürmen und die sie verarbeiten müssen. In welcher Form und wie gut das gelingt, kommt immer ein wenig darauf an, was sie von zuhause aus an Kraftressourcen und Stabilität mitbringen. Das ist sehr vielschichtig. Aber davon hängt ab, wie die Kinder solche Dinge aufnehmen können. Was immer gut ist, ist sich vorher mit den Kindern die Umgebung anzuschauen. Ihnen alles zu zeigen und spielerisch zu erklären und zu motivieren, was es da Tolles gibt. Dass es nicht ausschließlich etwas Neues ist, das Angst machen kann, sondern vor allem Lust auf Mehr macht. Die positiven Dinge sollten im Vorfeld in den Raum gestellt werden, damit man Spannung abbaut.
Der Start in den Kindergarten ist ja auch erste große Trennungsakt für die Kinder. Wie können Eltern dem begegnen und auf Verlustängste reagieren?
Ein ganz wichtiger Faktor ist, wie das Urvertrauen der Kinder ausgeprägt ist. Das sollte vorher schon aufgebaut und erlebbar gemacht worden sein. Die Kinder sollten die Sicherheit haben, dass sie darauf vertrauen können, dass die Bezugspersonen wiederkommen und wieder da sind. Dann wird die Trennung in der Regel relativ gut angenommen und dann können auch ganz schnell die vielen anderen tollen Dinge, die auf die Kinder warten, in den Fokus gesetzt werden.
Woran merke ich denn, dass Kinder mit der neuen Situation nicht gut zurechtkommen?
Zunächst sind der Kontakt zu anderen Kindern im gleichen Alter und die ersten Interaktionen mit Fremden grundsätzlich positiv und auch förderlich. Worauf man achten muss, ist, wie mein Kind auf die neue Situation und die ungewohnte Umgebung reagiert. Braucht es vielleicht noch ein bisschen mehr Vertrauen, um das anzunehmen, damit solche Dinge wie Ängste oder Sorgen schnell abfallen können. Ich will gar nicht über psychische Störungen in diesem Alter sprechen, aber wenn es wirklich etwas gibt, was zu viel ist, merkt man das relativ schnell. Indikatoren sind emotionale Ausbrüche, aggressives Verhalten, Rückzug, viel Weinen, nicht mehr das Haus verlassen wollen, Fremdeln, auch Einnässen kann dann wieder passieren. Wenn solch ein Verhalten nicht nur eine Phase für die ersten Tage ist, sondern anhält, dann war alles etwas viel. Und es ist vielleicht noch etwas anderes mit im Raum, was dazu geführt hat, dass das Gehirn das alles nicht so gut verarbeiten kann.
Was mache ich dann?
An erster Stelle steht erst einmal das Wahrnehmen. Eltern sollten genau hinschauen, ob das nur eine Phase ist oder es schon länger anhält. Den Kindern sollte dann genügend Raum gegeben werden, damit sie sich wahrgenommen und ernst genommen fühlen. Und es keinesfalls mit einem „Stell dich nicht so an“ abtun, sondern schauen, was denn da genau los ist. Vielleicht gab es Streit im Kindergarten oder in der Schule, der belastend ist. Es können ganz viele Kleinigkeiten sein, die man relativ schnell aus der Welt räumen kann, bevor sie sich so richtig setzen.
Welche Probleme können mit dem Wechsel in die Schule einhergehen?
Die Einschulung ist für viele Kinder tatsächlich noch eine Spur mehr. Ich arbeite ja auch viel mit Erwachsenen und es ist ganz erstaunlich: Man kommt bei Stressoren immer wieder auf die Einschulung. Da mag man jetzt drüber schmunzeln, aber es ist für viele doch ein einschneidendes Erlebnis, das unterschiedlich verarbeitet wird, mit unterschiedlichen Themen. Erst einmal freuen sich Kinder auf den Schulstart und dann passiert vielleicht irgendetwas Negatives: Man kommt nicht mit den Lehrern zurecht, die Klassenkameraden sind nicht nett, man fühlt sich alleingelassen, wird in der Pause einfach stehengelassen, die neue Umgebung macht Angst – alles das wird bewusster aufgenommen, als im Kindergarten und kann ziemlich oft zu kleineren Wunden führen, die sich später im Leben manchmal zeigen. Das passiert relativ häufig.
Im Gegensatz zum Kindergarten ist Schule ja noch reglementierter. Es wird mehr Disziplin gefordert, man soll stundenlang stillsitzen und sich konzentrieren. Ist das ein sehr harter Schnitt und eine weitere große Veränderung?
Ja, denn das Spielerische verliert sich immer mehr, die Kinder treten in einen neuen Lebensabschnitt und nicht jeder ist da schon bereit zu. Weil mitunter Energien da sind, die noch ausgelebt werden wollen. Stillsitzen, aufpassen, zuhören – das ist nicht immer einfach. Nicht jedes Schulsystem achtet gerade darauf, was die Kinder brauchen. Ich glaube, dass unser Schulsystem mittlerweile total am Bedarf und an den wirklichen Bedürfnissen der Kinder vorbeigeht. Ich weiß allerdings nicht, ob wir in der Lage sind, das schnell zu ändern.
Was heißt das konkret?
Es gibt Studien, das gerade in der Schule der Stressor Nummer eins bei Kindern die Lautstärke in der Klasse ist. Wenn es zu laut wird, stresst das, man kann sich nicht mehr konzentrieren, hat zu viel Ablenkung. Der nächste Stressor sind Lehrer, die ihre Klasse nicht im Griff haben, weil sie ihren Stress auf die Kinder spiegeln. Dazu kommt diese starre Disziplin, die in den 1950er Jahren noch im Raum stand, aber heute einfach nicht mehr zeitgemäß ist. Kinder brauchen heutzutage etwas ganz anderes, um gut lernen zu können. Dieses Einlassen-Müssen und der Druck, der da entsteht, ist schon enorm. Und da seinen eigenen Platz zu finden, ist nicht einfach.
Wenn dann der Weg auf eine weiterführende Schule geht, haben die Kinder zwar schon einige Erfahrungen gesammelt, aber dennoch gibt es auch hier wieder Veränderungen und neue Herausforderungen?
Hier sind oftmals die Eltern das Thema. Sie wollen für ihre Kinder stets das Beste und vielleicht auch etwas, was sie selber nicht haben konnten oder durften. Dahinter steckt immer eine gute Absicht, aber oft vergessen sie, das Kind in den Fokus zu stellen. Ich habe in meiner Praxis immer häufiger Kinder, bei denen ich mich frage, ob das wirklich noch Kinder sind oder eher kleine Erwachsene. Da sitzt ein viel zu hoher Erwartungsdruck hinter – und der kommt in der Regel von außen.
Haben die Probleme und Auffälligkeiten bei Kindern auch durch die Einschränkungen während der Coronazeit zugenommen?
Ja, leider. Die Gesellschaft war so mit sich selbst beschäftigt, dass die Kinder nicht gesehen worden sind. Wir als Erwachsene haben noch irgendwo Ressourcen aufbauen können. Kinder sind allerdings gerade erst dabei und das ist ihnen genommen worden. Jetzt nach zweieinhalb Jahren soll alles wieder normal sein. Aber was heißt normal? Die Kinder kennen kein „normal“. Und dieses Isolierte und das Eingesperrtsein macht natürlich etwas mit der Psyche. Bei jüngeren Kindern fehlt es an Sozialkompetenzen, weil sie sie gar nicht lernen konnten. Und keine Freiheiten zu haben, ist gerade bei Jugendlichen problematisch, wenn es um Autonomie und Grenzen geht. Die durften sie überhaupt nicht austesten. Man spürt, wie verloren sie sich gerade fühlen und auch nicht genau wissen, wie es im Leben eigentlich weitergehen soll. Das ist sehr erschreckend, und das ist erst der Anfang
Das hört sich nach enormen Herausforderungen an. Wie kann man helfen?
Auch wenn die Erwachsenen versuchen, ihren Kindern ihre Sorgen und ihren Stress nicht zu zeigen, die Kinder bekommen es mit, sie haben ein ganz feines Gespür dafür. Es gibt viele Kinder und Jugendliche, die für die Eltern unbewusst etwas mittragen. Wichtig ist, frühzeitig etwas zu tun. Jeder sollte seine eigene Wahrnehmung schärfen: Wie geht es mir, wie geht es unserer Familie, wie geht es meinem Kind? Das kann sehr schnell wieder aufgebrochen werden, wenn man gegensteuert, weil es bei Kindern noch nicht so verkrustet ist. Je früher man es bemerkt und etwas unternimmt, umso schneller ist es auch wieder weg. Und dann braucht es auch gar nicht erst eine Diagnose zu geben. In unserer Gesellschaft wird der Gang zu einem Therapeuten oder Coach ja gerne gleich als Schwäche abqualifiziert. Das ist natürlich totaler Quatsch. Man holt sich einfach Hilfe von einem Profi, der Dinge mitunter besser erkennt, weil er von außen draufblickt ohne emotional involviert zu sein. Jugendliche kommen manchmal bereits selber in die Praxis, weil sie ihre Probleme verbalisieren können. Kinder sind natürlich auf die Hilfe ihrer Eltern abgewiesen. Mein Tipp ist es, zunächst zum Kinderarzt zu gehen und Auffälligkeiten dort anzusprechen. Der kennt Angebote und kann weiterhelfen. Es gibt ganz viele Möglichkeiten, was man tun kann, ohne gleich direkt in eine Therapie zu müssen.
Andrea Schröder
Katrin Zirkel ist Heilpraktikerin für Psychotherapie und bietet in ihrer Bochumer Praxis, an der Kortumstraße 65, mit „Vorne. Weg.“ Sprechstunden speziell für Kinder und für Jugendliche an. Ziel ist es dabei, mithilfe von Beratung, Coaching oder Therapie eigene Wege zu gehen, Blockaden zu lösen, Verhaltensmuster zu ändern und sich selbst zu finden – und auch gut zu finden. Um das zu erreichen, setzt Katrin Zirkel z. B. Methoden aus der systemischen Beratung und speziellem Emotions- und Leistungscoaching ein. Schon 1-3 Coachingstunden können Kinder von Leistungsstress, Ängsten und Sozialstress befreien und positive Emotionen und Zuversicht ansprechen. Mit einem minimalen Coaching-Einsatz speziell auf die Themen und Bedürfnisse von Kindern ausgerichtet, kann wieder Freude und Spaß in den normalen Alltag einkehren. Zum Kennenlernen sind die ersten 30 Minuten eines unverbindlichen Erstgesprächs kostenfrei. Für weitere Beratungen fällt ein Honorar von 90 Euro pro Stunde an. Die Leistungen werden in der Regel nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.
Weitere Infos: www.katrin-zirkel.de
Mehr zum Thema Leistungsdruck und Schulstress bei Schülern gibt es hier.