Als die Schulen im März 2020 geschlossen wurden, fragte sich das Kollegium der Rudolf Steiner Schule Bochum, wie das jetzt gehen soll: Digitaler Unterricht auf Distanz, und das an einer Waldorfschule, wo das persönliche Verhältnis zwischen Schüler:Innen und Lehrer:Innen so besonders wichtig ist? Zunächst konnten sich selbst Pessimisten nicht vorstellen, dass diese besondere Situation so lange dauern würde und spätestens in den Sommerferien stellte man fest, dass die bisherigen Unterrichtsumstellungen nicht reichen würden. Aber wie geht eine Waldorfschule damit um, wenn sie ohne persönliche Kontakte unterrichten muss?
Digitaler Unterricht und Homeschooling
Die Geschäftsführung bestellte noch im August 200 Laptops und 35 Tablets für Schüler:Innen und Lehrer:Innen, um allen die Teilnahme am digitalen Unterricht zu ermöglichen. Die Regelschulklassen 1 bis 13 und die Klassen des Förderzweiges wurden in mehreren Schritten umfassender versorgt. Ab Klasse 9 arbeiteten nun alle Klassen im Großteil der Fächer digital.
Das Kollegium taucht in eine „neue Welt“ ein
Um den Kolleg:Innen zu helfen, die nun zum großen Teil in eine für sie „neue Welt“ eintauchen mussten, erstellte ein Kollege 23 kleine Videos, die Schritt für Schritt zeigen, wie man mit den verschiedenen Programmen den Online-Unterricht und die Arbeitsmaterialien digitalisieren kann. Diese Videos wurden in einen privaten YouTube-Kanal der Schule geladen und dem Kollegium zur Verfügung gestellt. Die Liste wurde kontinuierlich erweitert, wenn sich Fragen oder Wünsche gezeigt haben. So konnte schnell die, auch für die Zukunft notwendigen Kompetenzen im Kollegium aufgebaut werden.
Neue Unterrichtsformen
Natürlich merkten alle schnell, dass man nicht sechs Stunden hintereinander am Bildschirm sitzen kann. Daher wurden zu Beginn des Unterrichtes Aufgaben verteilt, die die Schüler einzeln oder in Gruppen bearbeiten konnten. Am Ende fanden die Klassen wieder zusammen. Manchmal ging der Arbeitsauftrag auch über mehrere Tage, dann konnten sich die Schüler:Innen ihre Zeit selbst einteilen.
Spaß am Lernen erhalten
Aber Lernen ist nicht alles, auch die Beziehungen innerhalb der Klasse mussten gepflegt werden. Der Spaß am Lernen sollte – so gut das in diesen besonderen Zeiten möglich war – erhalten bleiben. Dazu haben sich die Kollegen vieles einfallen lassen: Beispielsweise haben zwei vierte Klassen eine wöchentliche „Radiosendung“ aufgenommen mit Musik, Geschichten, Rätseln und kleinen Aufgaben. Besonders gefreut haben sich alle, als Stefan Vogt (ein Ehemaliger) und Carina Vogt, zwei große Kollegen vom WDR 4, Grüße übermittelt haben.
In anderen Klassen bekamen die Schüler täglich Grüße, Lieder und vorgelesene Geschichten als Video- oder Audiobotschaft zugeschickt. Kollegen drehten Filme von ihren Chemieexperimenten oder kochten online für ihre Schülerinnen und Schüler. Auch die Bewegung kam nicht zu kurz: Wenn möglich, trafen sich Klassen im gebührenden Abstand auf den Schulhöfen, um sich dort mit Gymnastik in Schwung zu halten. Zusätzlich hat die Schule umfassende Betreuungen organisiert und das Team der Schulküche hat alle, die es wollten, mit leckerem Essen To Go versorgt. Tägliche Telefonate mit Eltern und Schülern waren und sind wichtig, wegen der Fragen und der besonderen Nöte der Schüler:Innen und der Eltern.
Geigenunterricht und Schauspiel – geht auch digital
Zwar mussten die großen Konzerte ausfallen, aber Instrumentalunterricht gab es weiterhin: So lernten z.B. die Zweit- und Drittklässler online, auf der Geige zu spielen. Manchmal schlossen sie sich dabei digital zu kleinen Gruppen zusammen, die gemeinsam musizierten. In der achten Klasse steht Schauspiel im Lehrplan der Schule und für gewöhnlich gibt es vier Aufführungen im vollen Saal. In diesem Schuljahr war das nicht möglich. Aber die Achtklässler probten trotzdem, und es hat sich gelohnt: Bei zwei Livestreams haben über tausend Zuschauer „Das Haus der Temperamente“ verfolgen können. Eine weitere achte Klasse zeichnet ihr Stück gerade auf.
Unter strengen Auflagen wurde der Künstlerische Abschluss der zwölften Klassen durchgeführt. Bei den Abschlussprüfungen zeigte sich, dass die Schüler:Innen gut vorbereitet waren, denn alle ZP10-Prüfungen wurden bestanden, ebenso alle Abiturprüfungen. Zwei Abiturientinnen erreichten sogar den Schnitt von 1,0.
Sehnsucht nach Begegnung
Natürlich läuft noch nicht alles wie geschmiert, auch die Lehrer haben ein unterschiedliches Tempo bei den neuen Methoden. Immerhin wurden die digitalen Möglichkeiten von vielen entdeckt, die vor zwei Jahren nicht im Traum daran gedacht hätten. Und ebenso natürlich sehnen sich alle nach Begegnungen, gemeinsamem Unterricht im Klassenraum. Aber alle haben viel dazugelernt. . Viele Schüler – besonders aus der Oberstufe – haben es schätzen gelernt, dass sie in ihrem eigenen Tempo lernen können und Lehrer aus dem Förderschulbereich erzählen, dass ihre Schüler viel selbstständiger geworden seien.
Das Kollegium in dieser selbstverwalteten Schule war nebenher mit der Neuorganisation des Unterrichtes und mit der Ausarbeitung von Hygienemaßnahmen beschäftigt. Dazu kommt der ständige Kontakt mit den Behörden, Austausch mit der Schulgemeinschaft, Konferenzen per Zoom, Infoveranstaltung online und vieles mehr.
Es war und ist für alle – Schüler:Innen, Eltern und Lehrer:Innen – eine arbeitsreiche Zeit und alle sind froh, wenn es wieder anders sein wird, aber die Schule hat gelernt: Wenn es schwierig ist, sollte man nicht klagen, sondern versuchen, das Beste daraus zu machen.
Weitere Infos: www.rssbochum.de
Author: Bettina Fischer
Ich bin Bettina, Jahrgang 1995 und seit 2015 beim REVIERkind. Alles hat mit einem Redaktionspraktikum angefangen. Und weil ich mich bei den Mädels so wohl gefühlt habe, bin ich nach dem Praktikum einfach geblieben. Ich unterstütze unsere liebe Julia bei der redaktionellen Arbeit für unsere Magazine und bei der Pflege unserer Homepage. Außerdem stapeln sich rund um meinen Schreibtisch jede Menge Kinderbücher, da ich unsere Medientipps betreue. Nebenbei bin ich noch Glücksfee und ziehe die Gewinner unserer Verlosungen.