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Wildnis für Kinder

Bildnachweis: Biologische Station Östliches Ruhrgebiet

Ehemalige Industrieflächen laden Kinder zum Spielen ein

Mit Tablet-Computer und Smartphone gehen viele Kids heute ganz spielerisch um. Medienkompetenz ist ja auch wichtig, aber manchmal haben Kinder einfach Lust, im Matsch zu spielen, Buden zu bauen oder auf Bäume zu klettern. Dass so etwas auch im dicht besiedelten Ruhrgebiet möglich ist, zeigen die Städte Herne und Bochum. Auf Brachen ehemaliger Industriebetriebe haben sie dem Nachwuchs drei „Wildnisflächen“ gewidmet.

Dort können die Kinder selbstbestimmt im Grünen spielen und ein unverkrampftes Verhältnis zur Natur entwickeln. „Bitte auf den Wegen bleiben!“, „Nichts abpflücken!“ – Kinder müssen glauben, Natur sei unnahbar und stets mit Regeln und Verboten belegt. Wie sollen Menschen Partei für ihre Mitwelt ergreifen, wenn sie von klein auf immer nur Zaungäste sind? Wald und Wiese, die man nicht selbstbestimmt erleben und erobern darf, werden schnell als langweilig empfunden, warnen Psychologen. Genau diese Sorge bewegt seit einigen Jahren Naturschützer im Revier: „In den Städten wächst eine Generation heran, der die Natur zunehmend fremd wird“, sagt Jürgen Heuser, Leiter der Biologischen Station Östliches Ruhrgebiet. „Andererseits gibt es fast in jedem Stadtteil verwilderte Industriebrachen, auf denen spannende Naturerlebnisse zum Greifen nahe sind. Wir wollen Kinder wieder für das Spielen im Grünen begeistern, fürs Klettern und Rummatschen.“ Vielleicht, so die Hoffnung, werden die Erfahrungen, die sie in solcher Umgebung machen, eine Grundlage, dass sie sich später auch für den Schutz der Natur einsetzen. Die Statements der Kinder geben Heuser recht: „Normale Spielplätze sind voll langweilig“, findet der 11-jährige Kadir. „Ja, hier ist es cool“ ergänzt sein Freund Jan, bevor beide auf ihren Rädern Richtung Lehmhügel verschwinden. Eigentlich sollte der Bereich eine Matschzone werden, aber die Kinder haben sie zu ihrer Cross-Strecke gekürt. „Das ist o. k.“, findet Stefan Welzel, Mitarbeiter der Biostation. „Den Kindern Spielraum zu bieten, heißt eben auch, dass sie unser Angebot nach ihren eigenen Bedürfnissen nutzen.“ Für Sand- und Lehmhügel sorgte die Biostation, die Stadt ließ einen stabilen Zaun auf der Nordseite setzen. Er trennt die zwei Hektar große Wildnis von einer benachbarten Bahntrasse. Nach den anderen Seiten bleibt das Beien-Gelände in Herne, der frühere Standort einer Maschinenfabrik, offen.

Keine Altlasten, aber Neulasten

Nicht jede Brachfläche im Ruhrgebiet ist allerdings für so etwas geeignet. Während das Beien-Gelände in Herne auch wegen der unmittelbaren Nähe zur Biologischen Station ein Glücksfall war, musste in den Bochumer Stadtbezirken richtig gesucht werden. Hier wurde in Bochum-Dahlhausen die Grünanlage am IFAK-Mehrgenerationenhaus und in der Hustadt die städtische Grünanlage Nähe Hu-Town/Sportplatz Westerholtstraße gefunden. Idealerweise liegen die Flächen nicht mehr als 300 Meter von den Wohnquartieren entfernt. Attraktiv sind Bereiche, in denen sich Kinder unbeobachtet fühlen und wo Strukturen sind, die Lust auf das Spielen in der Natur machen: eine Mischung aus Hügeln und Mulden, Gehölzen und Freiflächen, dazu möglichst Wasser. Durch einfache Gestaltungsmaßnahmen wird der Anziehungskraft nachgeholfen, durchgestylt soll es aber nicht sein: Denn gerade das Ungeordnete und Provisorische erhöht den Reiz. Ungünstige Eigentumsverhältnisse und Altlasten waren Ausschlusskriterien.

Downhill auf dem Hosenboden

Ein Vertrag zwischen der Stadt und den Naturschützern regelt die Zuständigkeiten. Die Kommune als Eigentümerin bleibt weiter verantwortlich für die öffentliche Grünfläche, der Pflegebedarf ist aber gering. Neu ist lediglich, dass Naturerfahrungen für Kinder ausdrücklich erwünscht sind und Vorrang haben. Zusätzliche Risiken entstehen dadurch nicht. Um die Bekanntheit und Akzeptanz im Viertel sicherzustellen, sprachen die Initiatoren mit Kindergärten, Schulen, Jugendtreffs und Behörden, vor allem aber mit den Kindern, Eltern und Anwohnern. So entstanden auch erste Patenschaften. Die Paten halten die „Wildnis für Kinder“ im Auge und berichten der Biologischen Station, wenn etwas schiefläuft. Über mangelndes Interesse der Kinder kann Jürgen Heuser von der Biostation nicht klagen. „Manchmal fragen Eltern, ob sie hier Eintritt bezahlen müssen, und dann sind sie überrascht, dass es sich um frei zugängliche, öffentliche Grünflächen handelt.“ Kindergärten und Schulen im Umfeld bietet die Biostation übrigens Naturerlebnisprogramme an, denn manche Kinder brauchen am Anfang Anregungen. „An der Biostation besteht zudem die Möglichkeit, eine Tasche mit Werkzeug und Material für die Wildnis auszuleihen. Fast immer bekommen wir alles zurückgebracht, nur manchmal müssen wir etwas ersetzen, zum Beispiel ein Arschleder, auf dem man die Halde runterrutschen kann – na ja, das sind halt Verbrauchsmittel.“

Weitere Info gibt es unter: www.biostationruhr-ost.de

Text: Günter Matzke-Hajek |

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